Donnerstag, Juli 25, 2002

Bei den Indios in Todos Santos

Die nächste Busfahrt welche uns weiter in die Berge und näher zu den Indios bringen soll ist wieder einmal ein gutes Beispiel dafür dass man hier Distanzen nicht mit Kilometern messen darf: Für 61 Kilometer verbringen wir geschlagene fünf Stunden im Bus auf höchst ungemütlichen Sitzen. Kommt noch hinzu dass mir seit einigen Tagen mein Hintern zu sagen versucht dass er nicht geneigt ist diese Bus Tortour länger mitzumachen, denn irgendwie habe ich mir wohl einen Minihexenschuss eingefangen welche mir jede Bewegung - und insbesondere das Sitzen - zur Qual macht. Das einfachste wäre wohl mir etwas Fett am Hintern anzufressen um meinen verwöhnten Popo etwas zupolstern, aber nur mit Tortillas und Frijoles ist das gar nicht so leicht! Ein paar Tage später (mittlerweile gebe ich einziemlich trauriges Bild ab und liege wo man nur kann auf dem Bauch in der Gegend herum) erreichen wir Todos Santos, ein kleines Bergdorf welches fast nur von Indios bewohnt wird. Zwei Stunden später gewährt uns eine Indiofrau gegen Gebühr Asyl in ihrem Haus, wo sie mit ihren zwei Töchtern und ihrer Mutter wohnt. Schlafen müssen wir bei ihrer Schwester weil ihr Haus nur aus einem Raum besteht. In diesem Raum wird geschlafen, gekocht, gegessen, und gearbeitet. Die Wände des Hauses sind aus Erde gebaut und auch der Fussboden ist Erdboden. In einer Ecke des düsteren Raumes ist die Schlafstätte, knapp über dem Boden mit schmutzigen Fellen als Unterlage und haufenweise zerwuschelten uralten Decken darauf, wo Rosa zusammen mit ihren zwei Töchtern und ihrer Mutter schläft. In der Mitte des Raumes lodert ein Feuer welches Licht und Wärme spendet und worauf auch gekocht wird. Und es sind echt leckere Sachen welche Rosa für uns auf diesem Feuer zubereitet, so gut obwohl einfach haben wir schon lange nicht mehr gespiesen! Gegessen wird mit Händen und auf dem Erdboden um das Feuer herum, denn Tische, Stühle und Besteck benutzt man hier nicht, auch keine Regale, alles liegt etwas chaotisch auf dem Fussboden herum. So sitzen auch wir in Jacken gehüllt, denn es ist ziemlich kalt, auf dem Fussboden und essen mit Händen aus unserem Schälchen...



Zurück zu unserem Schlafraum! Tja, also Schlafraum ist vielleicht etwas Schönfärberei, eigentlich ist es ein Lagerraum welcher in etwa wie ein alter Keller aussieht: Feucht, sehr kalt, mit Erdboden und Maus. Die Maus - sehr clever ist sie nicht denn schon während man uns das "Zimmer" zeigt huscht ein Mäuseschatten umher und kaum fünf Minuten später hat sie sich schon am alten, modrigen mit Spinnweben verhangenen Holzregal hochgeangelt um unsere Rucksäcke zu inspizieren. So nicht, meine liebe Maus! "Wir oder die Maus" ist das Motto, und weil keine Partei freiwillig den Lagerraum verlässt bauen wir eine Falle die die Welt seines gleichen noch nicht gesehen hat: Mit Hilfe von Brettern und alten Glasflaschen bauen wir eine Umzäunung samt "Fluchtgang" zur Türe, mitsamt einer Mäuserampe über die Türschwelle. Leider scheint die Maus ein grosser Stratege zu sein, denn sie durchschaut unseren Plan und macht sich unbemerkt aus dem Staub. Was folgt ist eine wilde Hetzjagd mit Machete und Taschenlampe um die Maus immer wieder aus ihren Schlupflöchern zu jagen - schliesslich ist sie so geschafft dass sie nur noch Gottergeben und keuchend in einer Ecke sitzt und uns mit grossen Kulleraugen anstarrt. Als wir die Maus, sicher verwahrt in einer alten Plastikschüssel, in Nachbars Garten ins Exil schicken wollen kommt uns eine ziemlich verwunderte Gastgeberin entgegen. "Wie die Tiere!" Meint sie immer wieder, sich auf unseren Tumult beziehend und neugierig auf die Plastikschüssel schielend. Als wir ihr erzählen dass wir eine Maus in ihrem Haus gefangen haben ist sie vollends aus dem Häuschen und schlägt sofort vor dass wir das Todesurteil vollstrecken - aber natürlich liefern wir unseren kleinen Gefangenen nicht aus, sondern begnadigen ihn. Trotzdem ist uns die Frau unglaublich dankbar und kann es immer noch nicht fassen dass wir die Maus gefangen aber nicht gekillt haben - Komische Kerle diese Europäer...

Die anschliessende Nacht ist denn auch nicht wirklich angenehm: Überall hört und spürt man Insektenbeine krabbeln, man hat das Gefühl unsere ganze Schlafstätte lebt - und wir haben die alte Wolldecke bitter nötig um uns vor der feuchten und kalten Luft zu schützen. Jana ist nicht mehr wirklich glücklich darüber dass wir uns bei einer armen Indiofamilie einquartiert haben (welche sich wirklich Mühe geben und sehr nett sind) anstatt in eine Hospedaje zu gehen wie andere Touristen. Zu dieser Meinung hat das Bad sehr viel beigetragen: Muss man auf die Toilette findet man sich in einem finsteren Loch wieder und steht einem schmutzigen fauchenden, und in alle Richtungen spritzenden Ungetüm gegenüber, welches einmal ein Klo war. Aber leider ist der Spülkasten kaputt und so ist der gesamte Boden immer circa drei Zentimeter mit Wasser überflutet und in der Ecke türmt sich das gebrauchte Klopapier. Die Dusche nebenan wird von den männlichen Bewohnern als Stehklo missbraucht und hat ihre ursprüngliche Funktion längst verloren. Denn die Leute gehen hier jeden Samstag Abend in die Sauna. Dort wäscht man sich einmal die Woche und zieht neue Klamotten an um für den Markt am Sonntag gerüstet zu sein. Weil es hier in den Bergen wirklich SEHR kalt ist und die kalte Dusche mit Doppelfunktion uns nicht reizen kann beschliessen wir auch die Sauna zu benutzen um uns zu waschen. Die Sauna ist ein kleines circa 1.5m hohes, 2m breites Steinhäuschen mit Erdboden und kleinem Schlupfloch zum reinkrabbeln. Will man die Sauna benutzen muss man zwei Stunden vorher anfeuern und Wasser in Kübeln anschleppen um es zu erwärmen, ein riesen Aufwand -aber wenn man endlich im heissen, dunklen Häuschen auf dem Bretterrost kauert und sich mit warmem Wasser waschen kann weiss man: der Aufwand hat sich gelohnt!

Der Markt am Sonntag ist das Highlight für die Leute hier. Obwohl man hier noch die ganze Woche über die sorgfältig gearbeitete, schöne Tracht trägt - die Männer rote Hosen mit weissen Streifen und ein weites weisses Hemd mit Hut, und die Frauen weite Röcke mit gewebten bunten Hemden - putzt man sich für den Sonntag besonders sorgfältig heraus. Hier wird alles eingekauft was man braucht und wir lassen uns stundenlang einfach in diesen farbigen und quirligen Gewühl mittreiben, geniessen das Leben rings um uns herum und lassen das ganze vor der imponierenden Bergkulisse auf uns einwirken. Guatemala pur! Auch unsere Gastgeberin, Rosa, webt diese feinen Stoffe für die Trachten und so erfahren wir dass man drei Monate lang weben muss bis man ein Hemd daraus machen kann - Wahnsinnsarbeit! Und so tut es einem denn auch weh wenn man sieht zu welchen Preisen diese Stoffe auf den Märkten an Touristen verkauft werden.

Dass die Leute hier in friedlicher Koexistenz mit diversen Krabbeltierchen leben erfahren wir auch erst später, als uns Rosa eines Morgens fragt ob wir denn gut geschlafen hätten und ob wir wirklich keine "Pulgas" in unseren Betten haben, was sie kaum glauben kann. Pulgas? Was zum Kuckuck sind denn Pulgas? - Mein Dicionario löst das Rätsel: Flöhe! Oh weh, das hatten wir befürchtet - und schlafen fortan um einiges weniger gut, aber für die Menschen hier sind Flöhe und Läuse praktisch selbstverständlich...

Nachts um drei Uhr in irgend einem Hotelzimmer nach dem Todos Santos Besuch. Ich habe wieder einmal eine Juck- und Krabbelattacke und denke im Halbschlaf nur an Moskitos, aber irgendwann dämmert es mit dass Mücken normalerweise nicht unter dem Bettlacken zuschlagen... SCHEISSE! Flöhe! Es scheint ganz so als ob sich so ein Todos Santos Floh - oder sogar eine ganze Flohfamilie, den vielen Stichen nach - mich als neuen Wohnort und Fressplatz auserkoren haben! Die restliche Nacht schlafe ich denn auch nicht wirklich gut und wetze am Morgen, noch im Schlafzeugs, durch die Stadt zur nächsten Apotheke. Die gute Frau in der Apotheke will mir weismachen dass Flöhe nicht auf Menschen leben sondern nur in Betten, ich deshalb nicht so ein Theater veranstalten soll. Schliesslich kaufe ich einen Anti-Insektenspray (Killt sogar Kakerlaken!) und kehre damit ins Zimmer zurück. Dort erkläre ich meinem Floh umgehend den Krieg und beschliesse die Genfer Konvention zu verletzen indem ich Giftgas einsetze. Kurz darauf habe ich mich von oben bis unten mit dem Zeugs ("Haut- und Augenkontakt vermeiden, nicht einatmen") eingesprayt und warte eine Viertelstunde in dem Nebel um sicherzugehen das nichts überlebt hat. Danach stehe ich laut fluchend sicher eine halbe Stunde unter der eiskalten Dusche und versuche das Zeugs welches mittlerweile an meinem ganzen Körper juckt mit mässigem Erfolg loszukriegen. Und: Der Floh ist Geschichte, er hat den Angriff anscheinend nicht überlebt!

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