Mittwoch, Juni 12, 2002

Das ländliche Nicaragua und über das Busfahren

Nach diesem Städtemarathon zieht es uns wieder aufs Land: Wir wollen die kaum bewohnte Nord-Ost Region des Landes fernab von den Rucksacktouristen besuchen. Unser Lonely-Planet hüllt sich darüber in Schweigen und meint bloss man solle die Finger davon lassen (Plündernde Banden Landminen aus dem Krieg und so gut wie keine Polizei) die Einheimischen welche wir befragen halten die Gegend aber ausschliesslich als sicher. Let's go!! Was zeigt das der Lonely-Planet manchmal ziemliche Unzulänglichkeiten hat...

Die nächsten zweieinhalb Tage reisen wir per Chickenbus an die nördliche Karibikküste von Nicaragua; die Durchschnittsgeschwindigkeit liegt vielleicht bei circa 20 Km/h und die Erdpiste ist so schlecht dass ich mir ab und zu meinen Kopf am Busdach anstosse weil ich mich nicht mehr auf dem Sitz festhalten kann (zum Glück kann weder bei meinem Kopf noch beim Busdach nichts mehr kaputtgehen). Ab und zu durchfahren wir Flüsse (wieso denn Brücken bauen?!) oder durchqueren so tiefen Schlamm dass ich Angst habe wir bleiben stecken. Einmal müssen wir bei einer Brücke zuerst die Holzbalken wieder herrichten bevor der Bus ohne Passagiere darüber fährt, ich wusste gar nicht dass man Holz so stark verbiegen kann ohne dass es bricht...


Immer wieder passieren wir einzelne ganz einfache Holzhäuser mit Strohdächern und kleinen Kindern welche alle ganz dicke Bäuche haben. Später habe ich die Gelegenheit einem Arzt deswegen zu fragen und er meint dass dies durch Parasiten in den Mägen der Kinder verursacht würde. Zum Mittagessen halten wir in einem winzigen Dorf bei einem Comedor an. Dieser Comedor besteht aus einem einzigen Raum (Küche, Schlafplatz, Esstische) gekocht wird natürlich auf Holzfeuer und auf dem Erdboden spazieren Enten und Hühner während man für umgerechnet einen US Dollar sein Mittagessen holt. Während ich esse entdecke ich an der Wand zwei Plakate einer US Hilfsorganisation: Plakat Nummer eins erklärt WARUM eine Latrine doch eine ganz nützliche Einrichtung sei und Plakat Nummer zwei WIE man so eine Einrichtung benutzen sollte - In dieser Gegend gilt sogar ein Plumpsklo als Luxus...

Immer wieder hält unser Rüttelbus an um Leute und Waren auf- oder abzuladen, was immer wieder in einem einzigen grossen Chaos endet, weil der Bus völlig überladen ist. Ich habe jeweils beide Hände voll zu tun um unsere Rucksäcke und die Gitarre (Mittlerweile hat sich uns eine Schweizerin aus Aarberg angeschlossen) vor tropfenden Dieselkanistern, kackenden Hühnern oder einfach schlammtriefenden Gummistiefeln zu bewahren. So ist es denn auch nicht verwunderlich dass es im Bus zu offenen Konflikten kommt: Plötzlich hören wir eine völlig entsetzte Frauenstimme rufen: "Aber Señora, nehmen sie bitte ihre Füsse aus meinem Käse!! Ich bitte sie, so etwas macht man doch nicht!" Aber die angesprochene Frau welche mit ihren schmutzigen Gummistiefeln mitten in einem Korb voll mit abgedecktem weissem Käse steht ignoriert die Dame und nimmt ihre Füsse erst aus dem Käse als ihr angedroht wird denselben bezahlen zu müssen. Ich meinerseits habe meine Fehde mit einer anderen Dame welche ihre Hühner auf unsere Rucksäcke schmeisst, denn zufällig weiss ich von früher (Tja, was man nicht so allerlei nützliches lernt!) dass Hühner einem den Rucksack ziemlich übel Vollscheissen können. Also bringe ich die Rucksäcke unter einigem Protest und gegackere und geflattere von den Hühnern in Sicherheit. Mein Engagement gibt mir Recht denn einige Stunden später entdeckt der Busbegleiter die im eigenen Kot auf dem Busboden liegenden Hühner eingeklemmt zwischen Reissäcken (notabene direkt neben dem zertrampelten Käse) - und verlangt nun seinerseits von der Besitzerin dass sie die Schweinerei aufwische. Praktisch veranlagt wie die Dame ist, (und aus Mangel an Papier) packt sie ein Huhn an den Beinen und wischt mit diesem flatternden Ding, sozusagen als lebender Putzlappen, kurz über den Busboden und alle sind zufrieden.

Zusätzlich zu den Dieselkanistern (immer noch tropfend) den Reis- und Bohnensäcken(verschissen), dem Käsekorb (zertrampelt von schlammigen Stiefeln) und den Hühnern (auch ziemlich zerfleddert) führen wir noch quiekende Schweine mit. Diese sind hübsch verpackt in Leinensäcken so dass je nach Verpackungsgrad nur noch Schnauze oder Kopf heraus schaut. Die kleinen quickenden Gesellen werden im Bus, die grossen auf dem Busdach mit transportiert - was ganz schön unangenehm werden kann wenn sie pinkeln und die Sauce ins geöffnete Fenster tropft. Dieser Meinung ist jedenfalls Jana als sie empört an ihrem vollgespritzten T-Shirt schnüffelt und resigniert meint: "Iiih, jetzt rieche ich nach Tier...". Mitfühlend wie ich bin versuche ich ihr einzureden dass es bestimmt nur irgendwelches Regenwasser war und gebe mir dabei Mühe nicht allzu sehr die Nase zu rümpfen.

Die Nacht verbringen wir in Siuna, DER Stadt im Umkreis von 200 Kilometern wie uns die Bewohner stolz verkünden. Strom gibt es schon seit ein paar Tagen nicht mehr weil man im örtlichen E-Werk irgendwelche Probleme mit dem Dieselgenerator habe, was aber normal wäre. Fliessend Wasser gibt es auch nicht und als Toilette dient ein Plumpsklo. Um sich zu waschen und zu duschen schöpft man im Kerzenlicht mit einer kleinen Plastikschüssel das trüb-grüne Wasser aus einem Trog welches aus einem Ziehbrunnen stammt. Das Highlight sind aber die winzigen Bretterverschläge von Zimmern mit den Hinweisschildern wo darauf steht: "Bitte pissen und scheissen sie nicht in die Zimmer" Wäääh - Ab diesem Moment betrete ich das Zimmer nur noch höchst widerwillig. Touristen gibt es hier keine, höchstens Nicaraguanische "Geschäftsleute" welche umher reisen und den Pulperias irgendwelche Artikel wie Seife oder Wäscheklammern verkaufen, daher sind wir extrem begehrte Gesprächspartner bei den Leuten.

Hier kaufe ich auch für 3 Cents einen Stapel Malariamedikamente welche in der Schweiz über 30 SFr. kosten - und eine nette Frau zeigt uns daraufhin noch die Kirche, der Stolz der Leute und das restliche Dorf. Überhaupt sind die Leute hier in Nicaragua sehr freundlich und hilfsbereit und das Land gilt zurecht als das sicherste in Zentralamerika obwohl es das ärmste ist - aber eben es ist ein 3. Welt Land und darum muss man sich nicht wundern wenn viel geklaut wird (Darüber später mehr). Am nächsten Tag als wir nach stundenlangem Warten und Suchen (Die Leute hier sagen einem lieber was falsches als gar nichts) endlich einen Bus welcher in unsere Richtung fährt finden, fährt auf dem Busdach sogar noch ein ergeben blickender Hund mit hängenden Ohren und ein Polizist mit schusssicherer Weste und Sturmgewehr mit. Ersterer weil sein Herrchen auf den Markt will und der zweite um uns vor den Banditen zu beschützen (oder umgekehrt) - mich dauern jedenfalls beide als der Bus kurz darauf wieder durch Schlaglöcher holpert so dass wir uns auf den Sitzen festhalten müssen.

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